Virtuelles Briefing Update Justizreform

Virtuelles Briefing Update Justizreform

Aktueller hätte unser Briefing Ende März 2023 nicht sein können, denn die Ereignisse in Israel überschlagen sich: Nach den über Wochen anhaltende Proteste mit tausenden Teilnehmern, den Dienst verweigernden Reservisten, einem Generalstreik und der Entlassung des Verteidigungsministers, wurde Tage zuvor die Justizreform bis nach den jüdischen Feiertagen pausiert. Ganz zu schweigen von den 5 Parlamentswahlen in den letzten 3 Jahren. Die ganze Welt schaut auf das kleine Land im Nahen Osten und den internen Kampf um die Zukunft der Demokratie des Landes. Im Ausland wird diese angespannte Lage mit vielen Fragezeichen gesehen, auch Abgeordnete und Entscheidungsträger sind dazu auf der Suche nach fundiertem Hintergrundwissen und Einordnungen. NAFFO hat daher zu einem virtuellen Briefing mit Professor Amichai Cohen eingeladen. Der gefragte Rechtsprofessor Amichai Cohen vom renommierten Israeli Democracy Institut gab den geladenen Abgeordneten, Wissenschaftlern und NAFFO-Mitgliedern einen kenntnisreichen Überblick zu den Reformplänen der Regierung, wenig beleuchteten Hintergründen und möglichen weiteren Entwicklungen.  

Im Zentrum des Vortrags von Professor Cohen standen die vier Hauptpunkten der Reformpläne und der Vergleich zum Status quo. Zu Beginn erläuterte er die Besonderheiten des israelischen Systems, wie das nicht Vorhandensein einer Verfassung und dass für den Erlass der Basic Laws keine qualifizierte Mehrheit der Legislative notwendig ist. Zudem sind auch einige grundlegende Mechanismen der Gewaltenteilung nicht gegeben, wie etwa eine zweite Kammer im Parlament oder einen Präsidenten mit exekutiven Kompetenzen. Besonderes Augenmerk legte Professor Cohen in seinen Ausführungen bei den Reformplänen auf die Richterwahl – die als einziger Punkt bereits in die Knesset eingebracht wurde. Statt dem bisherigen Komitee, bestehend aus drei amtierenden Oberrichtern und je zwei Vertretern aus Regierung, Knesset und Anwaltskammer, soll neu ein 11-köpfiges Wahlgremium eingesetzt werden. Diesem sollen neben den drei Richtern neu drei Regierungsvertreter und drei Vertreter der Koalitionsparteien sowie zwei der Oppositionsparteien angehören. Die Anwaltskammer ist darin nicht länger vertreten. Es ist daher ein eher politisches als fachliches Gremium, welches die Richter wählt. Aufgrund der notwendigen Mehrheiten behalten die vertretenen Richter und Mitglieder der Opposition aber dennoch Veto-Rechte bei der Wahl.  

Die Reformierung der Justiz in Israel war aufgrund der fehlenden Verfassung und dem Status der Basic Laws und dem sich daraus ergebenden ständigen Machtkampf zwischen Parlament und Oberstem Gericht ein seit langer Zeit diskutiertes Projekt. Doch mit der Wahl der jetzigen Regierung hat der Prozess einen anderen Beigeschmack bekommen, so Professor Cohen. So zum Beispiel die von vielen als sehr kritisch gesehene Nationalgarde. Diese sei bereits unter der Regierung Lapid/Bennett angedacht worden. Die Gretchenfrage dabei sei, unter wessen Kommando sie geführt werde. Eine potenzielle Verfassungskrise sieht Professor Cohen jedoch eher nicht kommen, er hat großes Vertrauen in die israelischen Institutionen bzw. israelische Zivilgesellschaft. Die Massenproteste würden zudem zeigen, wie gut die israelische Zivilgesellschaft als Stabilitätsanker der Demokratie funktioniert, so Professor Cohen in seinem Schlusswort.