Bericht Reise März 2023

Bericht Reise März 2023

Tag 1: Was für ein Start der Delegationsreise: bei strömenden Regen erhält der Schmelzpunkt der Weltreligionen, die Jerusalemer Altstadt, eine ganz neue Bedeutung. In der fast leeren Grabeskirche konnten wir beobachten, wie griechisch-orthodoxe mit armenischen Geistlichen wegen Details im Ablauf der Zeremonien aneinander geraten. 

Ums Miteinander Leben ging es dann auch im Gespräch mit der Schusterman Family Philanthropies und der The Jerusalem Foundation. Besonders beeindruckend die vielen tollen Projekte im Bildungswesen: Arabisch als Sprache im Curriculum israelischer Schulen aufnehmen und gemeinsames Lernen jüdischer und arabischer Kinder ermöglichen.  

Beim Besuch im Obersten Gerichtshof bekamen wir Einblicke in dessen Arbeitsweise und lernten, was sich durch die Reformpläne verändern könnte. Abgerundet hat den Tag das Gespräch mit dem Gouverneur der Israelischen Zentralbank. Er erläutert uns die aktuelle Wirtschaftslage mit hoher Inflation und abwertendem Shekel. Seine Entwicklung des High Tech Sektors fanden wir vor dem Hintergrund der globalen Reaktionen auf die Justizreform besonders spannend. 

 

 

Tag 2: Dan Diker vom Jerusalem Center for Public Affairs startete den zweiten Tag unserer Delegationsreise mit einem geostrategischen Blick auf die Regionen: Wie eine Tentakel greifen die Arme der Islamischen Republik Iran um sich – von den Palästinensischen Gebieten bis nach Saudi Arabien.  

In Israel bleibt es bei der alte Frage: Demokratie oder Demografie? Denn vor allem die Jugend in den Palästinensischen Gebieten ist enorm unzufrieden und bereit Gewalt anzuwenden – so die neuesten Umfrageergebnisse die uns Khalil Shikaki vom Palestinian Center for Policy & Survey Research – PSR präsentierte. Unzufrieden, weil sie das Vertrauen in die Palästinensische Autonomiebehörde verloren haben, die weder legitimiert noch vertrauenswürdig sei. Diese Einstellung zeigt sich auch in der Radikalisierung der Jugendlichen, die die eigene Verteidigung mittels Gewalt als einzigen Weg sehen, wie uns auch die Mitarbeiter von UNDP berichten. Wer von Normalisierung mit den Israelis spricht, wird im Besten Fall nicht ernst genommen. Das deckt sich mit den Aussagen der israelischen Gesprächspartner, die auch von gegenseitiger Entfremdung sprechen. Die jungen Palästinenser verstehen kaum mehr hebräisch, Begegnungen im Alltag werden immer seltener, man lebt Parallelwelten. 

 

 

Tag 3: Der Norden, syrische & libanesische Grenze, drusische Dörfer und die Hisbollah 

Israel ist langgezogen und schmal, doch wie klein das Land tatsächlich ist und was das für seine Sicherheitspolitik bedeutet, versteht man am besten aus der Vogelperspektive. So flogen wir am dritten Tag unserer Reise mit einem Helikopter von Jerusalem aus über das Jordantal und den See Genezareth in den Norden. Hoch oben, auf dem Berg Ben Tal im Coffee Annan (hebräisch „Annan“ = Wolke) gab uns Eitan Azani vom International Institute for Counter-Terrorism – ICT ein Briefing über die Lage im Norden. Er schilderte die Einflüsse der Islamischen Republik Iran in den Libanon und nach Syrien, sprach über die fragile Situation in Jordanien und vor allem über die Stellungen der Hisbollah an der israelischen Nordgrenze. Gemeinsam mit Eitan fuhren wir bis zum nördlichsten Punkt an der Grenze zum Libanon, nach Metulla und besuchten die dortige Gedenkstätte zur Erinnerung an die Zeiten des „Good Fence“ bis zum Abzug Israels aus dem Süden des Libanons 2000 und an die SDF-Kämpfer. im Norden beeindruckte unsere Delegation nicht nur die landschaftliche Schönheit und die gepflegten Dörfer, sondern auch das gute Zusammenleben mit den ansässigen Drusen. Sie dienen in der israelischen Armee, sind wirtschaftlich oft sehr erfolgreich und gut integriert. 

Auf dem Rückweg nach Tel Aviv besuchten wir den württembergischen Protestanten in den sechziger Jahren gegründeten Kibbuz Beth-El in der Nähe von Caesarea. Ganz bescheiden und in breitestem Schwäbisch erzählte uns der Sales und Marketing-Direktor von Beth-El Zikhron Yaaqov Industries Ltd., Joachim Blind, seine tragische Familiengeschichte und wie er als Waise gemeinsam mit seinen Geschwistern zu Beth-El kam, wo er mit seiner Familie lebt. Beth-El Industries ist heute Weltmarktführer in der Herstellung von ABC-Filteranalagen und Unterdruckanlagen, beliefert diverse Armeen, die NATO, Sicherheitseinrichtungen und Konzerne wie Intel. Beth-El Industries verkauft seine für die Rüstungsindustrie unerlässlichen Produkte nur an Kunden, welche ihren strengen ethischen Grundsätzen entsprechen. Daneben produziert die Gruppe auch Backwaren, Bettwäsche und bildet junge Leute nach dem dualen System aus. 

Der Tag endete nicht minder spannend bei einem Briefing zur israelischen Justizreform. Unser ehemaliges Mitglied, Jonathan Heuberger, selbst Rechtsanwalt und langjähriger Mitarbeiter im Israel Ministry of Foreign Affairs Israel Ministry of Justice sowie dem Büro des The Prime Minister of Israel, gab uns detaillierte Einblicke in die historischen, politischen und rechtlichen Hintergründe der Reformpläne. Kontrovers diskutierten wir über die Sinnhaftigkeit der Reformpläne und verglichen den Status quo des israelischen Systems mit dem deutschen. 

 

 

Tag 4 und 5: Proteste in Tel Aviv Peres Center, Abraham Accords, Cogat & NGO Monitor    

Mit einer Vielzahl an Eindrücke und Themen vollgepackt war auch der letzte Tag unserer Delegationsreise. Eigentlich hätten wir in den Süden, an die Grenze zu Gaza fahren sollen. Doch die Israel Defense Forces sagte unser dort geplantes Briefing ab. Nicht ohne Grund, denn – so erfuhren wir später – genau zum Zeitpunkt als wir an der Grenze zu Gaza hätten sein sollen, wurde dort eine bewaffnete Drohne abgefangen. Stattdessen trafen wir Liad Diamond, Head of Public Diplomacy Office of the IDF Spokesperson Unit in der Zentrale im Norden Tel Avivs zu einem Gespräch über die aktuelle Sicherheitslage an Israels Grenzen. Angesichts der überall in der Stadt anberaumten Proteste gegen die Regierung und ihre Justizreform war es gar nicht so leicht für uns dort hinzukommen. Es ermöglichte uns jedoch, mit den Demonstranten ins Gespräch zu kommen und ihre vielfältigen Argumente anzuhören.  

Durch den Tel Aviver Verkehr kämpften wir uns anschließend nach Jaffa zum The Peres Center for Peace & Innovation, wo wir die didaktisch beeindruckend aufgebaute Ausstellung zu Innovationen und Start ups in Israel und zum Wirkungskreis von Shimon Peres besuchten. Ein Ort mit Symbolcharakter: das architektonisch imposant gebaute Gebäude steht just an der Stelle, an der Shimon Peres mit dem Schiff im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina angekommen ist. Im obersten Geschoss hatte er sein Büro in dem der Friedensnobelpreisträger und ehemalige Ministerpräsident wortwörtlich bis zu seinem Tod gearbeitet hatte. Packend auch die Arbeit, welche das Peres Center im Bereich der Kooperation und Koexistenz leistet. Yarden Leal-Yablonka, die stellvertretende Direktorin des Centers stellte uns dessen Vision und Projekt im ehemaligen Büro von Shimon Peres vor. 

Mit viel Herzblut und persönlichem Engagement berichtete uns Tobi Lov über die Beteiligung afrikanischer Staaten an den Abraham Accords. Sie schilderte uns, wie deren Haltung gegenüber Europa und Amerika sich in Richtung China verändert hat und wieso die afrikanischen Staaten auch für Israel und die Abraham Accords eine wichtige Rolle spielen.  

Der nächste Termin führte uns direkt ans Meer zur Surf-Schule HaGal Sheli (hebräisch für „Meine Welle), die mit großzügiger Unterstützung der Deutschen Botschaft schwer erziehbare Jugendliche aus allen gesellschaftlichen Schichten und Minderheiten in Israel reintegriert und über Jahre begleitet.  

Nach einer kleinen Pause am Flohmarkt von Jaffa ging es zum Treffen mit einem ehemaligen Mitarbeiter von Coordination of Government Activities in the Territories (COGAT), der Koordinationsbehörde für zivile Angelegenheiten in den palästinischen Gebieten. Dabei sprachen wir aus ganz anderer Perspektive über viele Themen, die uns bereits bei den Gesprächen in Ramallah geschildert wurden. Einmal mehr wurde klar, wie verfahren die Situation vor Ort ist und welche wichtige Rolle dabei Bildung und Erziehung einnehmen. Leider dominieren Frust, Hass und Gewaltbereitschaft das derzeitige Bild. Dies bestätigte sich auch beim Abendessen mit Olga Deutsch von NGO Monitor. 

Zum Abschluss der Reise traf die Delegation den Journalisten Dr. Gil Yaron, der viele der erlebten Eindrücke Israels historisch und politisch einordnete und damit einen würdigen Abschluss aufschlussreicher Tag bot.